[A]ura-WYSIWYG

FeinSinn
[A]ura
WYSIWYG - What You See Is What You Get

Eine Performance-Galerie mit Open-Source-Choreografie

Eines Tages wird das Internet so heilig sein wie eine riesige alte Kathedrale. Und alle geben ihre Daten ab, um den digitalen Gottheiten zu huldigen.

In der interaktiven Performance [A]ura werden die Zuschauenden als UserInnen
selbst zum Schöpferinnen und Schöpfern. Sie finden in den Wochen vor der Premiere
auf feinsinn.org ein einzigartiges Feature, mit dem sie die Choreografien und Inhalte von [A]ura im Browser mitgestalten und remixen können.

Walter Benjamins Aura - Begriff

In der Moderne verkümmert die Aura des Kunstwerkes, laut Walter
Benjamin (1892-1940), aufgrund technischer Reproduzierbarkeit und einem Verlust der Unnahbarkeit. Gleichzeitig entsteht aber durch neue Technologien eine völlig anders geartete „Aura des Staunens“.

Ein Kunstwerk war immer schon reproduzierbar. Was von Menschen geschaffen worden war, konnte von anderen Menschen kopiert werden. Reproduktion durch Technik eröffnet aber völlig neue Möglichkeiten. Ein Kunstwerk kann in kurzer Zeit nahezu identisch in großer Anzahl kopiert werden.

Selbst bei einer vollendeten Reproduktion verliert dabei das Kunstwerk sein einmaliges Dasein im Hier und Jetzt. Dieses macht aber den Begriff der Echtheit des Originals aus. An die Stelle eines einmaligen Vorkommens tritt nun ein massenweises. Eine Kopie durch Medien bringt zwar das Kunstwerk einer großen Anzahl von Menschen räumlich und menschlich näher, dadurch geht aber auch dessen Unnahbarkeit verloren. Es verliert seine Aura.

Walter Benjamin beschreibt die Aura als eine einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie auch sein mag: „An einem Sommernachmittag ruhend einem Gebirgszug am Horizont oder einem Zweig folgen, der seinen Schatten auf den Ruhenden wirft - das heißt die Aura dieser Berge, dieses Zweiges atmen.“ Diese Aura erschließt sich nicht jedem und nicht unmittelbar. Kunstgenuss beinhaltet eine kontemplative Komponente. Medien fördern aber die Zerstreuung - so Benjamin.

Um 1900 sind die Grenzen zwischen Kunst, Esoterik und Wissenschaft etwas durchlässiger als heute. Es wird davon ausgegangen, dass Sensitive durch verfeinerte Wahrnehmungsorgane mehr von ihrer Umwelt wahrnehmen („sehen“) wie weniger Sensitive. Walter Benjamin knüpft mit seinem Aura Begriff zwar an die esoterischen Strömungen an, grenzt sich aber von diesen in der Bedeutung ab, weil sie ein zu enges Verständnis von Aura hätten.

Durch Medien beginnt für Benjamin die strenge Unterscheidung zwischen Autor und Publikum aufzuweichen. Leser werden zu Autoren - z.B. durch Leserbriefe und Kommentare.
Aura, Originalität, Kopiervorgänge, Interaktivität heute
Heute tauschen auf Web-Sites und in Foren Interessierte verschiedener Kontinente Informationen aus - oder sie arbeiten gemeinsam an künstlerischen Projekten. Dies ist vor allem im Video- und Musikbereich eine gängige Methode der Kunstproduktion. In der Literatur besteht für jeden die Möglichkeit, sich bei Fan-Fiction und Hypertexten als Co-Autor zu beteiligen. Autorschaft und Copyright bekommen so eine völlig neue Bedeutung.

Heute benötigen Inhalte weniger Speichervolumen bei gleichzeitig immer besser werdender Qualität (MP3, MP4, jpg). Aufgrund von schnelleren Internetverbindungen sowie billigeren Tarifen ohne Limit ist nahezu unbegrenzter Down- und Upload von jeder Art von Bildern, Musik und Filmen möglich. Das Original kann ohne große Kosten oder großen Zeitaufwand millionenfach kopiert werden. Gleichzeitig ist dadurch aber auch der Wert einer Live-Performance wieder gestiegen.

Technik bringt uns auf die Ebene der Reflexion – weniger auf die Ebene der Kontemplation, die laut Benjamin ja so wichtig ist um die Aura zu erfassen. Von Technik stimulierte Sinne werden

daher in [A]ura auch mit dem Erlebnis der Reduktion konfrontiert. Denn was passiert mit computerbasierter Kunst, wenn sich das digitale Medium dem Benutzer verweigert oder wenn - ganz banal - der Stecker aus der Steckdose gezogen wird?

FeinSinn erforscht in [A]ura ob sich computer- und internetbasierte Methoden der Kunstproduktion auch auf eine Tanz- und Musikeprformance übertragen lassen. Die zukünftigen Zuschauer können als User auf feinsinn.org Inhalte der Performance mitbestimmen oder neu kombinieren. Jeder User kann zum Choreografen werden, zum innovativen Remixer, und sich so ein virtuelles Denkmal setzen, das dann doch eigene, unvorhersehbare Wege geht. Nähe und Ferne verschränken sich neu. Auch live wird das Theater zu einer interaktiven Performance- Galerie.

FeinSinn geht in dieser Recherche von Walter Benjamins Aura-Begriff aus und spannt dabei den Bogen von Forschern und ForscherInnen der Vergangenheit, die Benjamin inspirierten, bis hin zu Fragen und Erkenntnissen der heutigen Zeit. Was hat ein Heißluftballon mit einem Mikrofilm zu tun? Was ist die Verbindung zwischen Lord Byron und Computer-Programmen? Und die entscheidende Frage: gehöre ich zu den Sensitiven dieser Welt? Kann ich all das sehen, wovon hier die Rede ist?

What you see is what you get. 

Cast:Choreografie/Tanz: Elke PichlerMusik/Video: Alexander NantschevBühne/Kostüm: Monika BieglerLicht- und Screendesign, Technische Umsetzung: Georg Stadlmann Programmierung: Stefan LechnerInteractive Technical Support: Graham ThorneRechtliche Beratung: Clemens Lahner

© Alexander Nantschev 2022